GOLEM (Das kleine Blatt, 6. März 1971)

... DER VIERTE "GOLEM IST EIN MÄDCHEN

Wer den aus 72 Buchstaben bestehenden geheimnisvollen Namen Gottes kennt, besitzt - so berichtet die jüdische Mystik - die Macht, aus Lehm einen Körper zu formen, ihm Leben einzuhauchen und für eine bestimmte Aufgabe zu verwenden. Diese künstlichen Wesen, nicht Mensch und doch Fleisch und Blut, aus Lehm geschaffen, wurden Golem genannt. Sie hatten eine ganz bestimmte Sendung zu erfüllen und wurden nach Beendigung ihrer Aufgabe wieder zu Staub und Lehm.

Diese jüdische Sage inspirierte Peter Kutzer und seinen Freund Martin Wolfer, und sie nannten die Folk-Gruppe, die sie damals gründeten "Golem". Denn auch sie wollten eine Aufgabe erfüllen: Mit ihrer Musik den Menschen helfen und - mit Spirituals in deutscher und englischer Sprache Geld verdienen. Geld, das den Waisenkindern der Erdbebenkatastrophe in Peru und den gehirngeschädigten Kindern im Clara-Fey-Kinderheim, das derzeit im 19. Wiener Bezirk im Bau ist, zugute kommen soll.
"Wir spielen Lieder zum Zuhören, konzertante Einlagen bei Tanzveranstaltungen, Musik, die man nicht nur so nebenbei konsumieren kann", erklärt Stamm-Golem Peter Kutzer, und die drei anderen "Golem" geben ihm bei seiner Grundsatzerklärung recht.
 "Wir sind aber trotzdem bereit", ergänzt Martin Wolfer, "uns von Plattenproduzenten ein wenig kommerzialisieren zu lassen, wenn es nicht unserer grundsätzlichen Einstellung der Musik gegenüber widerspricht".
Und dann erzählt Peter Kutzer, den man als Sprecher der "Golem" bezeichnen kann, wie die Gruppe eigentlich zustanden kam.
Er und sein Freund Martin Wolfer saßen bei einem Sieveringer Heurigen. Die beiden verstanden sich musikalisch ausgezeichnet. Martin Wolfer, Sohn des Pastors der evangelischen Kirche in der Martinstraße, ein hervorragender Organist (bereits einige Male im TV und im Radio zu sehen und zu hören, im Privatleben Medizinstudent in der Zielgeraden) und Peter Kutzer, Angestellter und Komponist, der in seine eigene Musik verliebt ist, saßen bei einem Viertel Heurigen und sangen.
Am Nebentisch saß Horst Noibinger, Sologitarrist, der den klassischen Sound beherrscht, und begleitet die beiden stimmlich und instrumental.
"Der würde gut zu uns passen", möchten Kutzer und Wolfer damals gedacht haben.
Man kam miteinander ins Reden. Horst Noibinger, "Flöti zu Flötenstein" ("Das ist kein Spitzname mehr, sondern fast schon ein Pseudonym"), dessen Freundin "von Mausenstein" genannt wird, wollte sich den beiden gern musikalisch anschließen. Aber momentan steckte er mitten in viel Arbeit. Sein Maschinenbaustudium nahm ihn ganz in Anspruch: Er war gerade dabei einen Atomreaktor im Jugendstil zu konstruieren. ("Er entstand nur auf dem Papier", meint er, zu uns gewandt, erklärend. "Aber meines Wissens bin ich der Erste, der einen Atomreaktor eine Jugendstilfassade gab.")
Er wollte sich aber gern in einem halben Jahr bei Peter Kutzer melden. Kutzer gab ihm seine Telefonnummer. Martin Wolfer war skeptisch: Er rechnete nicht mit dem Anruf des Heurigenfreundes.
Er sollte sich aber irren.
"I bin der vom Heurigen in Sievering", meldete sich nach einem halben Jahr Horst Noibinger. Und seit diesem Tag gehört er zu den "Golem".
Zwar passte der Sologitarrist von allem Anfang an musikalisch hervorragend zu der Gruppe, trotzdem gab es einige Schwierigkeiten zu überwinden. "Unsere Gruppe setzt sich aus vier Singstimmen, einer Rhythmusgitarre und einer Sologitarre zusammen. Das ist äußerst wichtig: Bei uns singen alle vier. Bei der Gruppe war damals Sylvia Sylt. Sie und Flöti hatten dieselbe Stimmlage. Ich und Martin singen Bass. Also zwei Bass- und zwei Altstimmen, das ging nicht."
Sylvia Sylt hatte damals ohnehin die Absicht, die Golem zu verlassen. Sie folgte einem Angebot nach Kitzbühel und nahm später andere Engagements an. Damit war zwar das Problem der beiden sich konkurrierenden Altstimmen gelöst. Aber dafür waren die drei männlichen Golem jetzt ohne optischen Aufputz.
"Es war Zufall, dass wir auf Karin Stranig kamen", erzählt Peter Kutzer.
Karin Stranig war den "Golem" keine Unbekannte. Einige Jahre sang das schlanke Mädchen bei den Worried Men ("Der Mensch is a Sau" und "I bin a Wunda"). 1969 beteiligte sich Karin beim Nachwuchswettbewerb des ORF, "Talente 69", wo sie flüchtig auch Martin Wolfer kennen lernte.
Karin war bei diesem Wettbewerb äußerst erfolgreich. Sie erreichte in Österreich den 3. Platz. Martin Wolfer hingegen musste sich bei der Wiener Ausscheidung mit dem 12. Platz begnügen und kam nicht mehr in die Endausscheidung. Beim Finale in Mainz, wo die Besten aus Österreich, der Schweiz und aus Deutschland teilnahmen, errang Karin Stranig einen beachtlichen fünften Rang. (Erste wurden die "Milestones").
"Ich weiß nicht, wie der ORF-Chef heißt", erzählt Karin. "Der Generalintendant Bacher", helfen wir ihr weiter. "Ah ja, der Bacher. Er schickte mir auf Grund meiner guten Platzierung in Mainz Rosen mit einem Gratulationsschreiben. Dann aber war die große ORF-Pause. Niemand kümmerte sich um die entdeckten und anfangs geförderten Talente. Es fanden sich auch keine Produzenten, die es wagten, mit den Neuentdeckungen Aufnahmen zu machen".
Die gebürtige Klagenfurterin, die in Villach aufwuchs ("Das ist für jene interessant, die über die Rivalität der beiden Kärntner Stadt Bescheid wissen"), mit sieben Jahren nach Wien kam, in der Hofzeile die Klosterschule besuchte und abschließend eine Haushaltsschule absolvierte, hätte in Bronners Bar "Fledermaus" in der Spiegelgasse im 1. Wiener Bezirk allabendlich auftreten können. Die hübsche Kärntnerin entschloss sich aber für die "Golem", denn sie wollte keine Kommerz-Musik machen. Zumindest im Augenblick noch nicht.
Die drei bärtigen jungen Männer und das schlanke blonde Mädchen harmonierten musikalisch sofort hervorragend. Und bereits einige Tage später standen die "Golem" in der neuen Besetzung vor der TV-Kamera in der Jugendsendung "Spotlight".
Wenn man der Sage Glaube schenken darf, dass die künstlichen Menschen, die Golem, die der Gruppe den Namen gaben, erst mit Erfüllung ihrer Aufgabe wieder zu Staub werden, dann wird es die Folk-Gruppe "Golem" noch lange geben.
Denn die vier haben sich viel vorgenommen: nämlich deutsche Spirituals populär zu machen.
Sie treten in Beat- und Pop-Lokalen auf und geben vor dem jungen Publikum konzertante Einlagen. Es ist eben Musik zum Zuhören, Musik, die zum Denken anregt, keine Tanzmusik.
Und solange die Golem Anforderungen wie Mitdenken an ihr Publikum stellen, so lange werden sie es schwer haben, populär zu werden - zumindest in Österreich.
Karl-Eugen Mader

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